Erinnern heißt Verantwortung übernehmen – Ein Nachmittag, der Spuren hinterließ
Krieg, Hass, Zerstörung – und über allem steht die Entmenschlichung. Sechs Millionen Menschen, sechs Millionen Jüdinnen und Juden, sechs Millionen Opfer des NS-Regimes.
Man könnte meinen, dass die Menschheit aus diesen Gräueltaten gelernt hätte. Man könnte hoffen, dass im Jahr 2025 Friede und Menschlichkeit die Norm wären. Doch sobald wir den Blick weiter richten, wird schnell deutlich, dass Fremdenhass, Religionsfeindlichkeit und Extremismus noch lange nicht besiegt sind.
Verantwortung – ein Wort, das den Nachmittag des 28.01.25 beschreibt und uns dazu auffordert, nicht wegzusehen. Verantwortung bedeutet, sich dem Hass entgegenzustellen, Verantwortung bedeutet, nicht zu schweigen, wenn Unrecht geschieht. Verantwortung bedeutet, für eine Welt einzustehen, in der Menschen friedlich und respektvoll koexistieren.
Am Dienstag, den 28.01.25, versammelten sich einige Schüler der Q12 gemeinsam mit Herrn Grüner und Frau Bruniecki vor der Ostpforte des Bayerischen Landtags, um an einem zutiefst emotionalen Nachmittag teilzunehmen.
Anlässlich des 27. Januars 2025, dem Gedenktag an die Opfer des Holocausts, wurde im Bayerischen Landtag ein Programm mit dem Titel „Back to Kaunas. Das andere Leben“ zusammengestellt, das sein Publikum mit persönlichen Geschichten, Zeitzeugenberichten und musikalischen Darbietungen in eine Zeit zurückversetzte, die von Angst und Leid geprägt war. Während der Veranstaltung bekam man eine vage Vorstellung davon, welch unermesslichen Schrecken Millionen von Menschen damals ertragen mussten – ein Hauch von Angst, ein leises Echo des Grauens.
Gegen 16 Uhr begann die Lesung der Autobiografie von Solly Ganor durch den Schauspieler Thomas Darchinger, untermalt von den ergreifenden Klängen eines live zugeschalteten ukrainischen Streichquartetts.
Solly war erst 12 Jahre alt, als er und seine Familie im Sommer 1941 von den Besatzern in Ghettos gesperrt wurden. Ab diesem Moment sollte sich sein Leben für immer verändern. Hunger, Zwangsarbeit, Exekutionen – Schrecken, die zur täglichen Realität wurden. Vor den eigenen Augen ermordete Familienmitglieder, die allgegenwärtige Angst vor dem nächsten Tag – und dann der Moment, wenn selbst der beste Freund sich plötzlich zum Aggressor bekennt. Es ist der Moment, in dem die eigene Welt in Scherben zerfällt.
Als die Lesung endete, herrschte eine erdrückende Stille. Es gab wohl niemanden im Raum, der nicht tief erschüttert war. Manche verbargen ihr Gesicht in den Händen, andere hatten Tränen in den Augen.
Die Stimmung war so schwer, dass sie viele noch mit in die Pause trugen. Denn es ist eine Sache, in Schulbüchern über den Holocaust zu lesen – eine ganz andere, ihn durch die Worte eines Überlebenden beinahe greifbar zu erleben.
Solly Ganors Geschichte zeigt eindrucksvoll, wozu Menschen fähig sein können – und wie erschreckend einfach es wäre, dass sich Geschichte wiederholt. Besonders beunruhigend ist eine aktuelle Umfrage der Jewish Claims Conference, nach der etwa 12 Prozent der 18- bis 29-jährigen Deutschen noch nie von den Begriffen „Holocaust“ oder „Shoah“ gehört haben. Es ist eine Zahl, die Angst macht – und eine Mahnung, niemals aufzuhören, über diese Vergangenheit zu sprechen.
Nach der Pause hielt die Präsidentin des Landtags, Ilse Aigner, eine bewegende Ansprache und begrüßte dabei den Holocaust-Überlebenden Abba Naor.
Der mittlerweile 97-jährige jüdische Überlebende setzt sich bis heute unermüdlich für die Aufklärung junger Menschen über den Holocaust ein. Er führt selbst Schülerinnen und Schüler durch Gedenkstätten – Orte, die für ihn nicht nur Erinnerung, sondern persönliche Vergangenheit sind. Dennoch sieht er es als seine Lebensaufgabe an, seine Geschichte weiterzugeben.
Während eines Gesprächs mit Abba Naor, dem Fotografen Michael Schubitz – der eine bewegende Ausstellung mit überblendeten Bildern des Holocausts geschaffen hatte – und Mayara Khalifa, Teilnehmerin des Projekts „Always remember. Never forget“ vom CultureClouds e.V., wurde deutlich, mit welch beeindruckender Offenheit Naor über seine Vergangenheit spricht. Trotz der Schwere des Themas überraschte er mit seiner humorvollen Art, machte hier und da eine scherzhafte Bemerkung und betonte, dass Kaunas – der Ort, an dem für ihn das Grauen begann – für ihn immer seine Heimat bleiben würde. Denn dort wurde er geboren, dort lebte seine Familie.
Naors Art war inspirierend. Trotz allem, was er erlebt hat, strahlt er Hoffnung aus, Stärke und die unerschütterliche Überzeugung, dass Erinnern eine Pflicht ist.
Ab 19:30 Uhr hatten die Besucher die Möglichkeit, durch die Bildergalerie von Michael Schubitz zu gehen und sich durch Bild und Text mit der Vergangenheit der Überlebenden auseinanderzusetzen. Es war ein ruhiger, nachdenklicher Abschluss – ein Moment, um das Geschehene auf sich wirken zu lassen.
Ich denke, ich spreche für die meisten, wenn ich sage, dass der Nachmittag des 28.01. definitiv Spuren hinterlassen hat. Besonders in einer Zeit, in der Extremismus und Fremdenhass wieder erschreckend präsent sind, wird es immer wichtiger, Verantwortung zu übernehmen – Verantwortung dafür, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, dass wir aus der Vergangenheit lernen und uns aktiv für ein friedliches, respektvolles Miteinander einsetzen.
Es liegt an uns, gegen Hass, Ausgrenzung und Gleichgültigkeit aufzustehen. Es liegt an uns, die Erinnerungen an die Opfer des Holocausts lebendig zu halten – nicht nur an Gedenktagen, sondern in unserem täglichen Handeln.
Von Nadine Götz, Q12

